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Die klugen Jungfrauen
Sonntag, 30. November 2025
Schon sind wir wieder im Advent angekommen – und ich wundere mich wie alle Jahre, welche Kapriolen mein Zeitempfinden schlägt.
Immer schon wollte ich das Gleichnis von den zehn Jungfrauen (Mt 25,1-13) interpretieren. In Erinnerung meiner aktiven Zeit in Kirche fällt seine Lesung in etwa in diesen Zeitraum des Kirchenjahres.
Dann wird es mit dem Himmelreich sein wie mit zehn Jungfrauen, die ihre Lampen nahmen und dem Bräutigam entgegengingen. Fünf von ihnen waren töricht und fünf waren klug. Die törichten nahmen ihre Lampen mit, aber kein Öl, die klugen aber nahmen mit ihren Lampen noch Öl in Krügen mit. Als nun der Bräutigam lange nicht kam, wurden sie alle müde und schliefen ein. Mitten in der Nacht aber erscholl der Ruf: Siehe, der Bräutigam! Geht ihm entgegen! Da standen die Jungfrauen alle auf und machten ihre Lampen zurecht. Die törichten aber sagten zu den klugen: Gebt uns von eurem Öl, sonst gehen unsere Lampen aus! Die klugen erwiderten ihnen: Dann reicht es nicht für uns und für euch; geht lieber zu den Händlern und kauft es euch! Während sie noch unterwegs waren, um es zu kaufen, kam der Bräutigam. Die Jungfrauen, die bereit waren, gingen mit ihm in den Hochzeitssaal und die Tür wurde zugeschlossen. Später kamen auch die anderen Jungfrauen und riefen: Herr, Herr, mach uns auf! Er aber antwortete ihnen und sprach: Amen, ich sage euch: Ich kenne euch nicht. Seid also wachsam! Denn ihr wisst weder den Tag noch die Stunde!
Der Text hat es in sich, hat er doch in dieser so niedergeschriebenen Form das Potenzial, ein ungutes, ein verunsicherndes Gefühl zu vermitteln – so zumindest erging es mir stets damit: Zu welchen der Jungfrauen zähle ich? Bin ich vorbereitet auf den Bräutigam?
In meiner Abhandlung zum Thomasevangelium habe ich dargelegt, dass Jesus zum Volk in anderer Weise sprach als zum eingeweihten Kreis seiner Jünger. Er liebte die Sprechweise in Gleichnissen, die jedoch – so anmutig und berührend sie einerseits daherkamen – stets auch Anlass zu Missdeutungen gaben und bis zum heutigen Tag geben.
Ich denke nicht, dass es Jesus um eine Drohkulisse ging, wenn auch der Evangelist Matthäus - im Schuld-Strafe-Duktus der BLAUEN Bewusstseinsstufe - eine solche in seiner Textversion deutlich anklingen lässt. Für mich ist es klar, dass Jesus uns mit Hilfe dieses Gleichnisses aus dem Zustand des „Schlafens“, der Unbewusstheit, mit der wir kollektiv durch unser Leben gehen, herausholen möchte hinein in das Erwachen, in die Bewusstwerdung unserer wahren Identität.
Geht es hier um ein zukünftiges Geschehen, vielleicht gar um das Jüngste Gericht (zum Jüngsten Gericht werde ich demnächst auch mal ein paar Gedanken niederschreiben)?
Durch eine grundsätzliche Ebenenverwechslung entsteht bei Matthäus ein zeitlicher Versatz: Trefft in der Gegenwart die richtigen Entscheidungen, damit ihr für die Zukunft vorbereitet seid.
Erinnere dich: Zeit ist eine Illusion, eine Illusion der materiellen, physikalisch „trägen“ Welt, die nur über eine Entzerrung, eine Dehnung des Jetzt-Zustandes wahrgenommen und erfahren werden kann. So entsteht in unserem Verstand die Vorstellung linearer Zeit, die Idee von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Jedoch ist ALLE ZEIT IMMER NUR JETZT !
Wir dürfen uns jetzt in diesem Moment klarwerden, dass wir kollektiv weitestgehend im Zustand des „Schlafens“, also unbewusst sind, auf Autopilot laufen („wurden sie alle müde und schliefen ein“); dass wir uns am meisten für Äußerlichkeiten, für unser kleines Ego-Selbst interessieren, nicht aber für das Wesentliche, das uns nährt („die törichten nahmen ihre Lampen mit, aber kein Öl“). Unser Erwachen, unsere Bewusstwerdung öffnet uns jetzt in diesem Moment die Tür zum Göttlichen, zur Quelle, zum Himmel („die Jungfrauen, die bereit waren, gingen mit ihm in den Hochzeitssaal“). Der Weg dorthin führt über Stille und Achtsamkeit, über das Sein im Hier und Jetzt („seid also wachsam“).
„Wachet auf, ruft uns die Stimme“ - so eine der wohl bekanntesten Kantaten Johann Sebastian Bachs, gesungen vom Jugendkathedralchor Fulda.
Wenn nicht JETZT, wann dann?
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...von Nicole aus Lüdenscheid am 30.11.2025:
Liebe Susanne, danke für deine ermutigenden Worte!
An deinen Erläuterungen erkenne ich wieder, dass eine gute Interpretation der Bibeltexte uns auch heute noch soviel sagen kann und will! Wären doch kirchliche Predigten auch öfter so...